Dienstag, 8. April 2014

Vergoldkalbung

So. Wir wundern uns also. 

Wir wundern uns über das sich ausbreitende Chaos, über den grassierenden, endemischen Egoismus, wir wundern uns über so viel Gewalt, einen viel früher und heftiger einsetzenden Generationenkonflikt, über stimm- meinungs- und teilnahmslose Wähler und über Regierungen, die unsere Selbstbestimmung immer unverhohlener beschneiden, die Meinungsfreiheit kastrieren und niemand etwas dagegen tut. 




Wir wundern uns über den spürbar einsetzenden Untergang unserer Zivilisation, aber vor allem wundern wir uns darüber, wieso gerade die junge Generation nichts dagegen tut. Wir, ihre Mütter, Väter und Großeltern habe unsere Kämpfe schon gekämpft. Wir haben gestritten, demonstriert und Unzähliges für unsere Freiheit und die unserer Kinder erreicht.
Doch unsere Kinder kämpfen nicht mehr.

Aus eigener Erfahrung ist uns doch allen, die wir die 30 überschritten haben, schmerzlich bewusst, wie leichtfertig wir die "heutige Jugend™" für ihre Ziellosigkeit, für ihre Passitivität und für ihre Interesselosigkeit und Ignoranz anklagen, wenn nicht verurteilen.

Letztendlich gilt es für uns nur die eine Frage zu stellen: Was haben wir getan? Was haben wir angerichtet, an denen, die unser Erbe werden tragen müssen?

Unsere Großeltern sind meist noch in einer Generation aufgewachsen, in der man unterwegs auf dem Feld das Licht der Welt erblickte und alsbald dort auch nützlich zu sein hatte: Ob als Dung, oder willige Arbeitskraft. "Survival of the fittest".

Kinder zu bekommen war für die Generationen VOR chemischer Geburtenkontrolle und MIT realen, existenziellen Problemen ein völlig selbstverständlicher Vorgang des Arterhalts. Einzelkinder waren die Seltenheit, in der Regel verfügten Eltern über ein ganzes Kinderrudel, von welchen eben manche Individuen durchkamen und welche wurden, andere nicht. Sicherlich liebte man auch damals seine Kinder, aber man spann, auch mangels Ressourcen jeder Art, keines in einen seidenen Kokon und trug es bis weit über die Erreichung der Zeugungsfähigkeit wie ein rohes Ei vor- und mit sich herum.

Unsere Eltern wuchsen zwar in existenzieller Sicherheit, aber unter der Fuchtel gehärteter Eltern, die viel Elend und Leid gesehen und gefühlt hatten, aber auch wussten, wie stark sie daraus hervorgegangen waren, auf, im Rahmen enger Regeln und moralischer Vorschriften. Viele von uns fragten sich, ob diese Regeln noch zeitgemäß seien, wir revoltierten, wir befreiten uns. Und wir schworen, einmal bessere Eltern zu sein.

Von den Ängsten unserer Eltern um unser künftiges Wohl zu Bildung geprügelt, vom Feminismus des anarchischen Familienbildes beraubt und medial mit etwaigen Gefahren durch thermonukleare Kriege, atomare Katastrophen und dem Versiegen der Energieressourcen bedroht, wurde die Pille zum Werkzeug der intellektuellen Selbstausrottung. Über Fortpflanzung wurde fortan intensiv nachgedacht, beratschlagt und erwogen, nicht selten ergebnislos bis ins hohe Alter.

Kinder wurden seltener in unserem Straßenbild. Und mit sinkender Quantität stieg die empfundene Qualität jedes individuellen Kindes für seine Eltern. So begannen wir unseren Nachwuchs mit all unserer Kraft zu behüten, von allem Negativen abzuschotten, zu entlasten, bevor auch nur irgendeine Belastung entstehen könnte. Wir förderten unsere Liebsten bis in die Überforderung, nahmen jede Luft und jeden Raum für eigene, ungefilterte Erfahrungen, für die Entwicklung des eigenen Selbst.

Wir "pflegen" unsere gesundgeborenen Kinder bis in die seelische Erkrankung. Wir ersticken jede Eigeninitiative und Interessensausbildung durch die andauernde Überfrachtung mit convenience-Zerstreuung. Bei geringsten Anzeichen von Langeweile ertrinken unsere Kinder im vorgesetzten, pädagogisch und ökologisch sinnvollen wie nachhaltigen Lernspielzeug, veröden vor der Glotze oder surfen im Internet, noch bevor sie überhaupt lesen können.

Unsere Lebensräume werden sicherheitshalber steril reinlich gehalten, bis die Neurodermitis uns zwingt, den Kindern jegliche Umwelteinflüsse vorzuenthalten. Aus Angst vor dem Straßenverkehr kasernieren wir unsere Kleinen in Indoor-Parks, wo sie unter künstlichem Tageslicht hilflos nebeneinander sitzen.

Kaum in der Schule, erledigen wir ihre Hausaufgaben und diskutieren bei bedrohten Lehrern schlechte Zensuren weg, schulischer Erfolg ist doch so wichtig. Wir geben ein Vermögen für Nachhilfeunterricht aus, der, weil wirtschaftlich erfolgsfokussiert, den Stoff rein zensuroptimierend vermittelt (sprich Spickzettel liefert und einbläut), aber keinen Wert auf Verständnis und langfristige Speicherung des Lernstoffes legt.

Und mit 16 oder 17 sollen sie dann plötzlich erwachsen sein. Sich eine (natürlich dem eigenen Weltbild entsprechende) Meinung gebildet haben und zielstrebig ihrem Erfolg entgegen gehen.

Mit Mitte 20 treten wir sie dann endlich und genervt vor die Türe, wo sie entweder wie eine Maschine ihrer ihnen zugedachten, gesellschaftlichen Funktion nachgehen, oder unter die Räder kommen und im Drogensumpf ersticken.

Erhebt man ein Kind zum goldenen Kalb, behüte und verhätschelt es, kann man unmöglich erwarten, dass es kritikfähig, selbstreflektiert, lebenserfahren und -fähig jemals auf eigenen Beinen stehen wird. Geschweige denn, dass diese Beine irgendjemanden in eine glückliche Zukunft tragen könnten.

Aber wir wundern uns. 

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